Freitag, 9. Oktober 2015
Kaffeefahrt nach Huhot (呼和浩特, Hūhéhàotè)
Am 28.09. ging es nicht etwa zurück zur Uni. Nein, wir hatten ja beschlossen, unsere Reise von Peking aus fortzusetzen und nahmen in Kauf, dass wir dafür drei Tage Unterricht verpassen würden. Unser zweites Ziel war die innere Mongolei, wo wir einen Ausflug in die Steppe machen wollten und in echten Nomadenzelten, sogenannten Yurts schlafen wollten.

Am Nachmittag nahmen wir also unseren Z-Zug von Peking nach Huhot. Unser Zug war entsetzlich langsam unterwegs und hielt doch auf der gesamten Strecke nur zweimal. Wir hatten uns schon gewundert, wie es sein kann, dass der G-Zug dieselbe Strecke in nur 2 Stunden fährt, für die unser Zug 6 Stunden benötigte. Dass wir so langsam fuhren, war erstmal nicht weiter schlimm, immerhin kamen wir an fantastischen Berglandschaften vorbei.






Nach einer halben Stunde wurde es allerdings ungemütlich. Ein Mann in Bahnpersonaluniform stellte sich neben mir und meinem Sitznachbarn auf und fing lautstark an zu schreien und präsentierte durchsichtige Kreditkartenhüllen. Die Chinesen schreien einem gerne mal direkt ins Ohr, wenn sie wollen, dass man ihnen etwas abkauft. Dass das bei uns Deutschen auf Abwehr stößt, scheint ihnen unverständlich zu sein. Der gute Mann schrie nun so lange durch das Zugabteil (wie gesagt stand er einen Meter von mir entfernt), bis sich ein Käufer fand. Dann war für fünf Minuten Ruhe bis derselbe erneut den Wagon betrat, diesmal mit einem neuen Artikel in der Hand. Das ganze wiederholte sich. Jedesmal, wenn sich der Verkäufer mir zuwendete und sein Geschrei direkt auf mein Ohr gerichtet war, schrie ich unwillkürlich auf vor Schmerz und schließlich ließ er von den zahlungskräftigen Europäern ab und ging ein paar Schritte weiter, so dass er zwei Meter hinter meinem Rücken stand. Nach etwa einer halben Stunde hatte der erste Verkäufer sein Geschäft abgewickelt und verschwand aus unserer Hörweite.

Gleichzeitig erschien ein anderer Mann in Bahnpersonaluniform. Er stellte sich in die Mitte des Wagens und fing lautstark an, etwas zu erzählen, allerdings hatte er eine angenehmere Stimme und weniger penetrant. Es schien äußerst wichtig zu sein, was er zu erzählen hatte, immerhin hatte er die volle Aufmerksamkeit aller Chinesen, die in diesem Teil des Zuges saßen.


Der Mann gestikulierte wild und rief und erzählte irgendwelche Sachen. Der einzige, der dem lustigen Chinesen so rein garkeine Beachtung schenken wollte, war ein deutscher Mann, der musikhörender Weise neben zwei Chinesen gequetscht auf seinem Sitz saß, mit sich und der Welt zufrieden und einfach nur seine Ruhe haben wollte, während er eifrig Nachrichten mit seinem Handy verschickte.


Die Leute um mich herum fingen an zu lachen und mein Sitznachbar und ich stellten die Vermutung auf, dass dies wohl das Bespaßungsprogramm der chinesischen Bahngesellschaft sein muss, gewissermaßen als Volksbespaßung. Daraufhin begann der Uniformierte, mit denselben Billigprodukten herumzufuchteln, die sein Vorgänger gerade noch für teures Geld an den Mann gebracht hatte. Er fing an, laut zu zählen: 一二三 (yi er san) ! und die Leute streckten auf Kommande alle ihre Hände in die Luft. Der Verkäufer warf die Kreditkartenhüllen in die johlende Menge. Der alte Herr, der mir gegenüber saß, fing an zu weinen, hatte er doch gerade eben noch viel Geld für seine Kartenhülle bezahlt. Nun war er umringt von jubelnden Menschen, die alle ihre Kreditkarten herausholten und in die Kartenhülle steckten und diese stolz betrachteten.

Als nächstes wurden hölzerne Schlüsselanhänger hervorgeholt. Das seltsame war, dass die Menschen dafür zwischen 1 und 20 RMB zahlten, ganz wie sie wollten. Danach kamen Herrenrasierer an die Reihe. Aber nicht irgendein gewöhnlicher Herrenrasierer, oh nein! Dieser hatte eine eingebaute Taschenlampe mit blauem Licht, mit dem man Geldscheine auf Fälschung prüfen kann. Den musste die junge Frau im Sechsersitz neben mir unbedingt haben. Dem entsetzten Blick ihrer Mutter zufolge zahlte die junge Frau ein Vermögen dafür, saß danach aber seeling mit ihrer neuen Errungenschaft da und knipste fasziniert das Licht der eingebauten Taschenlampe an und aus. Ihr gegenüber saß ein Mann, der ebenfalls eines dieser kostbaren Produkte erworben hatte und fuhr sich mit dem Rasierer zufrieden übers Kinn. Bald hörte man im ganzen Zugwagon von überall leise Rasiergeräusche. Eine Frau legte ihrem Sitznachbarn ihre Beine auf den Schoß und wir dachten schon, sie bekomme jetzt die Beine rasiert, war dann aber doch nicht so. Nach 10 Minuten war dann alles wieder stumm und die neuen Spielzeuge in den Taschen verstaut.

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